Das Finanzgericht Münster blickt auf ein in vielerlei Hinsicht herausforderndes Jahr 2020 zurück. Als eines von drei nordrhein-westfälischen Finanzgerichten gewährt das Finanzgericht Münster Rechtsschutz in Steuersachen und Kindergeldangelegenheiten, d.h. es ist zuständig für Klagen gegen Maßnahmen der Finanzämter und Familienkassen des Gerichtsbezirks.
 
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Sitzungsbetrieb
Das Corona-Virus stellt derzeit die Bürgerinnen und Bürger sowie alle Einrichtungen des öffentlichen und privaten Lebens vor bislang ungekannte Herausforderungen. Das Finanzgericht Münster hat hierauf, wie alle anderen Gerichte Nordrhein-Westfalens, mit präventiven Maßnahmen reagiert, die einerseits den Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie der Gerichtsangehörigen vor einer Infektion und andererseits die Rechtsschutzgewährung sicherstellen.
 
Der Sitzungsbetrieb unter persönlicher Anwesenheit der Prozessbeteiligten wurde während der Zeiten des „Lockdowns“ in der ersten und in der zweiten „Welle“ auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt. In geeigneten Verfahren wurde stattdessen entweder im schriftlichen Verfahren durch Gerichtsbescheid oder im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden. Die Richterinnen und Richter und Kolleginnen und Kollegen in den Serviceeinheiten des Finanzgerichts Münster waren und sind für die Rechtsschutzsuchenden dennoch jederzeit, ob im Gericht oder im Homeoffice, telefonisch oder schriftlich erreichbar. Dank des bereits im Jahr 2019 in der nordrhein-westfälischen Finanzgerichtsbarkeit erfolgreich vollzogenen Wechsels von der Papierakte zur elektronischen Gerichtsakte und der Schaffung sämtlicher Voraussetzungen für den papierlosen elektronischen Rechtsverkehr war die Verfahrensbearbeitung ohne Einschränkungen weiter möglich. Das hohe technische Ausstattungsniveau des Gerichts kam und kommt sowohl den Beteiligten als auch den Gerichtsangehörigen zugute. Eine effektive Rechtsschutzgewährung war und ist uneingeschränkt gewährleistet.
 
Moderne Videokonferenztechnik
Im Übrigen waren und sind mündliche Verhandlungen und Erörterungstermine per Videokonferenz uneingeschränkt möglich. Das Finanzgericht Münster verfügt seit vielen Jahren über zwei Videokonferenzanlagen – eine mobile sowie eine stationäre Anlage. Im laufenden Jahr 2021 kommen zudem neue Videokonferenzlösungen zum Einsatz, welche es ermöglichen, dass Prozess- und Behördenvertreter an den gerichtlichen Terminen jeweils vom eigenen Büro aus teilnehmen. Dies ist ein weiterer wesentlicher Baustein für die Gewährleistung digitalen und effektiven Rechtsschutzes sowohl unter Pandemiebedingungen als auch in einer hoffentlich pandemiefreien Zukunft.
 
Rechtsprechung
Die Vorteile der elektronischen Aktenführung sowie der modernen Sitzungstechnik und Arbeitsplatzausstattung spiegeln sich in den durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten und der Zahl der erledigten Verfahren im Jahr 2020 wieder. Trotz der Einschränkungen des Arbeitsalltags lag die durchschnittliche Verfahrenslaufzeit für Klageverfahren bei 14,8 Monaten und hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr 2019, in dem sie bei 14,6 Monaten lag, nur geringfügig verändert. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verbesserte sich die durchschnittliche Verfahrenslaufzeit von 2,3 Monaten im Jahr 2019 auf 2,0 Monate im Jahr 2020. Deutlich über die Hälfte der Klageverfahren konnten trotz der zeitweisen Einschränkung des Sitzungsbetriebs innerhalb eines Jahres nach Eingang erledigt werden. Die Zahl der erledigten Verfahren (3.728) lag im Jahr 2020 nur sehr geringfügig unter den Erledigungen (3.826) des Jahres 2019, ein deutliches Zeichen dafür, dass effektiver Steuerrechtsschutz auch in Pandemiezeiten gewährleistet war und ist.
 
Die Verfahrenseingänge gingen demgegenüber im Jahr 2020 insgesamt um ca. 6 % zurück. Grund dafür dürften die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Maßnahmen zu deren Eindämmung gewesen sein, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch beschränkend auf die Anzahl der von den Finanzämtern erlassenen Einspruchsentscheidungen ausgewirkt haben dürften. Während im ersten Quartal 2020 ein Zuwachs bei den Klageeingängen von rund 4 % im Vergleich zum Vorjahresquartal 2019 zu verzeichnen war, lagen die Eingänge in den Folgequartalen teils um mehr als 10 % unter denen des Vorjahres. Ein Zuwachs der eingegangenen Eilverfahren im dritten Quartal konnte diesen Rückgang nicht vollständig kompensieren.
 
Die „Erfolgsquote“ für den Steuerpflichtigen lag im Jahr 2020 – wie im Vorjahr 2019 –  insgesamt bei etwa 50 %, es erfolgte also eine vollständige oder teilweise Stattgabe zugunsten des Steuerpflichtigen. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es in den finanzgerichtlichen Verfahren häufig – insbesondere nach Betriebsprüfungen – um eine Vielzahl von Streitpunkten geht und bereits ein „Achtungserfolg“ in einem Streitpunkt statistisch zu einem (teilweisen) Klageerfolg führt. Zudem gibt es Fälle, in denen der Klageerfolg auf der verspäteten Abgabe der Steuererklärung beruht, der Bescheid also vor Klageerhebung nicht unbedingt rechtswidrig war. Nur rund 20 % der Klageverfahren endeten durch Urteil oder Gerichtsbescheid. Weitaus mehr Verfahren endeten unstreitig durch Hauptsacheerledigung (35,78 %) oder Klagerücknahme (31,13 %).
 
Rechtsschutz bei Pfändung von Corona-Hilfen
Auch inhaltlich hat die Corona-Pandemie Einfluss auf die Rechtsprechung des Finanzgerichts Münster gehabt. In mehreren Entscheidungen, die im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen sind, haben sich verschiedene Senate mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Finanzamt wegen rückständiger Steuerschulden ein Konto pfänden darf, auf das staatliche Hilfen zur Bewältigung der Pandemiefolgen („Corona-Soforthilfe“ oder „Corona-Überbrückungshilfe“) eingezahlt wurden. Die Ergebnisse waren unterschiedlich. Ganz überwiegend wurde Vollstreckungsschutz unter Hinweis auf die Zweckgebundenheit der Corona-Hilfen gewährt (vgl. bspw. Beschlüsse v. 13.05.2020 (1 V 1286/20 AO) (vgl. hierzu PM Nr. 11 v. 19.05.2020), v. 29.05.2020 (11 V 1496/20 AO) und v. 08.06.2020 (11 V 1541/20 AO). Mit Beschluss vom 09.07.2020 (VII S 23/20) bestätigte der Bundesfinanzhof diese Sichtweise.
 
Öffentlichkeitsarbeit
Die Möglichkeiten der Außendarstellung in Form von Präsenzveranstaltungen waren auch im Finanzgericht Münster im Jahr 2020 nur begrenzt gegeben. Das seit vielen Jahren durchgeführte Seminar zum Ablauf des finanzgerichtlichen Verfahrens („FG-Live“), das sich an Steuerberater/innen richtet, konnte in Form eines „Webinars“ realisiert werden. Außerdem wurde im Oktober 2020 der gerichtseigene YouTube-Kanal „Rechtsschutz in Steuersachen“ gestartet (vgl. hierzu PM Nr. 18 v. 15.10.2020), der erste YouTube-Kanal eines Gerichts bundesweit. In kurzen Videos werden Informationen über den Aufbau der Justiz, das Gericht und das finanzgerichtliche Verfahren vermittelt. Zielgruppe sind nicht nur (steuer-) juristische „Profis“, sondern alle an der Justiz und am Steuerrecht interessierten Bürgerinnen und Bürger.
 
Fazit
Der Präsident des Finanzgerichts Münster Christian Wolsztynski zieht folgendes Fazit des vergangenen Jahres: „Das Jahr 2020 hat die Gesellschaft, die Arbeitswelt, die Justiz und damit auch uns vor besondere Herausforderungen gestellt. Es galt, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger und der Kolleginnen und Kollegen des Finanzgerichts Münster zu gewährleisten und gleichzeitig den Anliegen der Rechtsschutzsuchenden möglichst effektiv gerecht zu werden. Dies ist uns den belastenden Umständen zum Trotz aus meiner Sicht sehr gut gelungen. Insofern konnte und kann ich mich sowohl im richterlichen Dienst als auch im Unterstützungsbereich in hervorragender Weise auf den Arbeitseinsatz, die Flexibilität, die Anpassungsbereitschaft und die Teamfähigkeit aller Kolleginnen und Kollegen des Finanzgerichts Münster verlassen.“